Was bedeutet die Ortsbezeichnung Wusterhusen? Eine kritische Betrachtung

terra vostrozne als Insel

Die Landschaft zwischen der Dänischen Wiek und dem Peenestrom wird in den Dokumenten des Mittelalters terra vostrozne genannt. Gewöhnlich wird das als „mit Palisaden umzäuntes Land“ übersetzt.
Das ist in meinen Augen Humbug. Meines Erachtens heißt Wusterhusen „von Wasser umflossenes Land“.

Die Quelle der ersteren Deutung ist das 1968 erschienene Buch „Greifswald und seine Umgebung“, herausgegeben von Bruno Benthin, der damals die Abteilung der Ökonomischen Geografie des Geografischen Instituts der Uni Greifswald leitete. Das Buch wurde die Quelle der Heimatgeschichtsschreibung der Region um Greifswald schlechthin.

Für die Deutung der slawischen Ortsnamen war im Mitarbeiterteam des Buches ein Teodolius Witkowski von der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin zuständig. Er war offenbar Spezialist für die polabische Sprache. Als Polabisch bezeichnet man die Sprachen der westslawischen Stämme, die seit dem 7. Jahrhundert Gebiete des heutigen Nordostdeutschlands und Nordwestpolens besiedelten. Es waren Sprachen, die ausschließlich nur gesprochen wurden, keine Schriftsprachen.
Als Anfang des 13. Jahrhunderts auch die pommerschen Herzöge begannen, Siedler aus Deutschland (insbesondere aus Sachsen – dem heutigen Niedersachsen) in das eroberte Gebiet zwischen Oder und Trebel zu holen, versuchten diese, ihre neuen Besitzungen im wahrsten Sinne des Wortes festzuschreiben. Zumal der Höhenzug am Greifswalder Bodden von der Dänischen Wiek bis zum Peenestrom im 12./13. Jahrhundert zwischen dem rügenschen Fürsten (als dänischer Lehnsherr) und den pommerschen Herzögen (als deutsche Reichsfürsten) sehr umstritten war. Der deutsche Adel und die christlichen Klöster ließen Urkunden als rechtlichen Besitznachweis ausstellen. Dabei wurde die polabische Aussprache der Flunamen mit deutschen Schriftzeichen widergegeben. Mitunter wurden die Namen zusätzlich in ähnlich klingende deutsche Begriffe umgewandelt, eingedeutscht.

In diesen Dokumenten wurde das Wusterhusener Hochland mit „terra vostrozne“ oder ähnlich bezeichnet. Für das Verständnis der Namensdeutung ist es dabei von großer Bedeutung, dass man beachtet, dass das Schriftzeichen „V“ als stimmhaftes „W“ und das „Z“ als stimmhaftes „S“ gesprochen wird, also in heutigen deutschen Schriftzeichen „Wostrosne“.
Witkowski sah bei „vostrozne“ eine Analogie zum altpolnischen „vostrog“, womit ein mit Palisaden befestigter Platz bezeichnet worden sein soll. Er glaubte wohl, dass damit eine Burg bezeichnet wurde, die der umgebenden Flur insgesamt den Namen gab. Das geschah bei den Slawen tatsächlich sehr oft. * Auch der Greifswalder Slawist Manfred Niemeyer hat diese Deutung ungeprüft in seine 2001 herausgegebene Quellen- und Literatursammlung zu den Ortsnamen Ostvorpommens übernommen.

Aber „von Palisaden umzäuntes Land“ ist einfach hanebüchen. Man stelle sich das nur mal bildlich vor.
Es ist viel wahrscheinlicher, dass „vostr-“ als „wasserumflossen“ zu übersetzen ist. Im Slawischen steht noch heute Woda für Wasser. Im Falle von Wustrow und Wusterhausen, das im Brandenburgischen mehrfach vorkommt, wird dies stets mit „Werder“, „Insel“ übersetzt. Warum soll das bei vostrozne nicht auch so sein? Meiner Meinung nach heißt vostrozne „von Wasser umflossenes Land“. Übrigens kamen auch Theodor Fontane und der Guru der preußischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, Heinrich Berghaus, betreffs Königs Wusterhausen zur gleichen Schlussfolgerung.

Das Land Wusterhusen rundherum von Wasser umgeben?
Ja. Im Norden vom Greifswalder (früher Rügenscher) Bodden, im Westen von der Dänischen Wiek und im Osten vom Peenestrom. Und im Süden? Von der Ziese. Heute nur ein verlandeter Bach, dessen heutiger meliorierter Lauf dazu noch das Wasser aus einem Kanal vom Hanshäger Bach (eigentlich Steinbach = slawisch Kamenez = Kemnitz) bezieht. Aber früher soll die Ziese ein schiffbarer Fluss gewesen sein. So soll 1184 die im Bodden von den Dänen geschlagene Flotte des Pommernherzogs über die Ziese nach Wolgast geflüchtet sein.

Unterstützung erhält die Fluss-These durch Klaus Goldmann und Günter Wermusch, die 1999 die Fachwelt damit überraschten, dass sie das sagenhafte Vineta nach Barth verlegten. Das gelang nur, indem das Flusstal von Peene/Trebel/Recknitz zum Oderarm wurde. Ebenso die Ziese.
In meinen Augen ist das sehr glaubhaft. Man hebe auf der Landkarte den Wasserstand um zwei Meter. Voila: Die Insel. In der Urkunde von 1248, die das Gründungsjahr für ein Dutzend Ortschaften im Land Wusterhusen markiert, ist die Ziese beispielsweise auch als Grenzfluss zwischen dem herzoglichen Stylogh (Stilow) und dem klösterlichen Kemnitz bezeichnet. Das sagt zwar nichts über dessen Schiffbarkeit aus. Ich bin jedoch davon überzeugt: Das „Land Wusterhusen“ war eine Insel. **

Und wie wurde aus Vostrozne „Wusterhusen“?
Meiner Meinung nach entstand der heutige Name in den Schreibstuben.
Vostrozne wurde zunächst entsprechend seiner Aussprache zu Wostrose(n). Das Kloster Eldena dehnte seine Besitzungen mit Unterstützung des Fürsten von Rügen in die „terra wostrose“ aus. Das vom Rügenschen Fürsten gestiftete Kloster unterstand jedoch dem Bistum Roskilde, war also dänisch. Die Dänen sprechen das Schriftzeichen „o“ bekanntlich als „u“ aus, lasen also „Wustrusen“.
Nachdem die Klosterbesitzungen im Zuge der Reformation vom Wolgaster Pommernherzog einkassiert worden war, war es nur eine Frage der Zeit, dass die deutschen Amtsstuben aus dieser Lautung wiederum in ihren Schriften Wusterhusen machten. Statt Wusterhausen wie im Brandenburgischen, blieb hier die niederdeutsche Version -husen.
Klingt doch plausibel, oder? Jedenfalls viel schlüssiger als der Unsinn eines „von Palisaden umzäunten“ Landes.

Anmerkungen:

* Neuere Forschungen gehen inzwischen davon aus, dass die Fliehburg oder der Ausgangspunkt der slawischen Besiedlung dieses Landstriches südlich vom heutigen Rubenow stand. In der Nähe der Ziese, die damals ein schiffbarer Fluss gewesen sein könnte, über den die slawischen Sippen einwanderten.

** Bevölkert wurde es wahrscheinlich durch die auf Rügen sesshaften Ranen, die von der Insel aus auch das vorgelagerte Festland besiedelten. So soll damals zwischen dem Mönchgut und Usedom eine Landverbindung bestanden haben, die nur einen schmalen Durchgang zwischen Bodden und Ostsee ließ: das Alte Tief südlich vom heutigen Ruden. Diese Landzunge verschwand erst bei der Sturmflut zu Allerheilgen 1304. Sie hinterließ die heutige Untiefe zwischen Rügen und Ruden.
Zu den Besitzungen des Burgvogtes/Grafen von Gützkow an der Peene, die vom Stamm der Zirzipanen besiedelt waren, bildete ein dichter Buchenwald, der zum Teil noch heute besteht, eine natürliche Grenze. Dieser Wald wurde erst durch deutsche Besiedlungen (-hagen) durchlässig.

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